von Rechtsanwältin Henriette Lyndian, Dortmund

 

Der Artikel befasst sich mit der durch das 3. Opferrechtsreformgesetz eingeführten psychosozialen Prozessbegleitung in Form des § 406g StPO sowie mit dem Gesetz über die Psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren (PsychPbG)[1] und dem Ausführungsgesetz und der dazu gehörigen Verordnung am Beispiel des Landes Nordrhein-Westfalen. Während § 406g Absatz 1 StPO sich zunächst mit dem Recht der Verletzten auf psychosoziale Prozessbegleitung befasst, normiert Absatz 2, dass das PsychPbG die Grundsätze der psychosozialen Prozessbegleitung sowie die Anforderung an die Qualifikation und die Vergütung der/des psychosozialen Prozessbegleiterin/s[2] zu regeln hat. § 406g Absatz 3 StPO bestimmt, unter welchen Voraussetzungen eine kostenlose Beiordnung eines psychosozialen  Prozessbegleiters möglich ist. Sofern keine Beiordnung erfolgt, ein Verletzter sich aber dennoch auf eigene Kosten eines psychosozialen Prozessbegleiters bedient, bestimmt § 406g Absatz 4 StPO die Grenzen dessen Anwesenheitsrechts an Vernehmungen.

 

Mit dem 3. Opferrechtsreformgesetzt[3] wurde ein – für die Strafprozessordnung – neues Institut eingeführt, das sich ab 1. Januar 2017 zu bewähren hat: die psychosoziale Prozessbegleitung. Nach der Definition im Bericht[4] der Bund-Länder-Arbeitgruppe handelt es sich bei der psychosozialen Prozessbegleitung um eine besonders intensive Form der Begleitung für besonders schutzbedürftige Verletzte von Straftaten vor, während und nach der Hauptverhandlung. Sie umfasst ihre qualifizierte Betreuung, Informationsvermittlung und Unterstützung im Strafverfahren mit dem Ziel, ihre individuelle Belastung zu reduzieren, eine Sekundärviktimisierung weitestgehend zu vermeiden und die Aussagetüchtigkeit als Zeuginnen und Zeugen zu fördern. Grundsätzlich kann jeder verletzte Zeuge sich der psychosozialen Prozessbegleitung bedienen, jedoch erfolgt eine Beiordnung auf Staatskosten nur in bestimmten Fällen.

 

Die Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012[5] setzte auf europäischer Ebene den neuen Impuls, über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten nachzudenken, was letztendlich zur Umsetzung im 3. Opferrechtsreformgesetz mündete. Über die in der Richtlinie genannten Erfordernisse hinaus wurde in Deutschland das Institut der psychosozialen Prozessbegleitung eingeführt, weil der Gesetzgeber hier die bisher geltenden Regelungen als für nicht ausreichend erachtete[6].

 

In Artikel 8 der Richtlinie 2012/29/EU wurde bestimmt, dass jeder Mitgliedstaat sicher zu stellen hat, dass Opfer ihrem Bedarf entsprechend vor, während sowie für einen angemessenen Zeitraum nach Abschluss des Strafverfahrens kostenlos Zugang zu Opferunterstützungsdiensten erhalten müssen, die im Interesse der Opfer handeln und dem Grundsatz der Vertraulichkeit verpflichtet sind.  Hierbei haben die Mitgliedstaaten Maßnahmen zu ergreifen, um neben den allgemeinen Opferunterstützungsdiensten kostenlose, vertrauliche, spezialisierte Unterstützungsdienste einzurichten. Auf den ersten Anblick mag es so erscheinen, dass dieses bereits vor der Einführung des 3. Opferrechtsreformgesetzes gewährleistet gewesen sei und es einer besonderen Regelung nicht mehr bedurfte, damit Opfer ausreichend Unterstützung im Strafverfahren erfahren. Dennoch ist es zu begrüßen, dass es mit der Einführung des neuen § 406g StPO, dem auf Bundesebene eingeführten PsychPbG, sowie durch die verschiedenen Ausführungsgesetze[7] und Verordnungen auf Länderebene nunmehr gesetzliche Grundlagen gibt, die Rechtssicherheit schaffen und die Mindeststandards, die an einen psychosozialen Prozessbegleiter, dessen Ausbildung sowie vor allem an die Ausbildungsstellen gestellt werden, festschreiben.

 

Natürlich kennen wir in Deutschland schon viele Beratungsstellen, die sich um die Belange der Opfer in Strafverfahren kümmern, seien es privat organisierte Vereine wie „Der Weiße Ring„, staatliche oder kirchliche Stellen wie Kommunen, Caritas und Diakonie sowie viele andere Hilfsorganisationen. Tatsache ist jedoch, dass die psychosoziale Prozessbegleitung bisher keinerlei verbindlichen rechtlichen Regeln unterstand und ein Opfer keinen Anspruch auf eine durch den Staat gestellte und finanzierte kostenlose Unterstützung beanspruchen konnte, die sich speziell um die Belange von Opfern kümmert, die im Zusammenhang mit einen Strafverfahren stehen.

 

Bisher fanden sich kaum gesetzliche Regelungen, die sich mit der Frage der psychosozialen Prozessbegleitung auseinandersetzen. So war lediglich in § 406h Absatz 1 Nr. 5 StPO a.F. bestimmt, dass Verletzte möglichst frühzeitig auf ihre aus §§ 406d – 406g folgende Befugnisse und insbesondere auch darauf hinzuweisen seien, dass sie „... 5. Unterstützung und Hilfe durch Opferschutzeinrichtungen erhalten können, etwa in Form einer Beratung oder einer psychosozialen Prozessbegleitung.„In den Kommentierungen zur StPO wird hier meist der Weiße Ring genannt, der Opfer seit vielen Jahren begleitet. Der Weiße Ring gewährleistet die Hilfestellung für Verletzte hauptsächlich durch ehrenamtliche Mitglieder, deren Ausbildung gesetzlich bisher nicht geregelt war. Es existierten keine Bestimmungen darüber, was genau eine psychosoziale Prozessbegleitung  beinhalten muss und was vor allem nicht Aufgabe eines Prozessbegleiters sein darf. In den Kommentierungen findet sich lediglich der Hinweis darauf, dass es dem Gericht obliege, sicher zu stellen, dass weder eine bewusste noch unbewusste Beeinflussung von Zeugen stattfände.[8]

 

In der Praxis wurden Opfer bisher mannigfaltig von verschiedenen Personen im Rahmen von Strafprozessen begleitet, insbesondere in den Hauptverhandlungen. Dabei war nicht immer gewährleistet, dass die Betreuung professionellen Standards entsprach. Auch verlassen rechtliche Betreuer von Opfern oftmals ihren Aufgabenbereich und verstehen sich nicht so sehr als Rechtsberater sondern vielmehr als die eigentliche therapeutische Einrichtung.[9] Vielfach vertreten Nebenklagevertreterinnen und -vertreter die Ansicht, dass die psychosoziale Prozessbegleitung im Auftrag des Mandanten mitenthalten sei oder zumindest als Service im Rahmen der Mandantenbetreuung von Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälten zu erbringen ist. Ohne hierzu ausgebildet zu sein, sollte ein Jurist sich jedoch auf seine Aufgabe in Form der rechtlichen Betreuung des Mandats konzentrieren. Alle Erfahrung und Empathie führen nicht zu einem professionellen Umgang auf psycho-sozialer Ebene, auf welchen Opfer angewiesen sind. So wie Juristen in der Regel nicht über ausreichende Kenntnisse im sozialwissenschaftlichen oder psychologischen Bereich verfügen, um Opfer auf diesem Gebiet zu beraten, verfügen psychologische bzw. soziale Betreuer von Verletzten meist nicht über die erforderlichen rechtlichen Kenntnisse, wie Zeugen in einem strafrechtlichen Verfahren betreut werden sollten, ohne die Qualität ihrer Aussage zu mindern und damit den Strafprozess zu gefährden. Sicherlich sind auf beiden Seiten Kenntnisse über das andere Fachgebiet vorhanden. Aber die Kernaufgabe des psychosozialen Prozessbegleiters ist weder die rechtliche noch die sozial- bzw. psychotherapeutische Beratung eines Verletzten, sondern vielmehr, dafür Sorge zu tragen, dass der Strafprozess nicht zu belastend für das Opfer wird. Es gilt, eine sekundäre Viktimisierung zu vermeiden.

 

In den vielen Opferberatungsstellen gibt es kaum Kräfte, die tatsächlich und vielleicht auch ausschließlich auf die Prozessbegleitung spezialisiert sind, sondern die Prozessbegleitung wird nur am Rande einer sonstigen sozialen oder psychologischen Beratung mitgeliefert, ohne dass hierfür die ausreichenden juristischen Kenntnisse vorhanden sind. Dabei kommt es nicht selten zu Missverständnissen, die dazu führen, dass bewusst oder unbewusst auf ein Opfer, das als Zeuge vor Gericht aussagen muss, Einfluss ausgeübt wird. Auch führt ein falsch verstandenes juristisches Halbwissen bei psychosozialen Betreuern nicht selten zu überstiegenen Erwartungshaltungen beim Opfer, was seine Möglichkeiten hinsichtlich seiner Rechte im Bezug auf seine Zeugenaussage betrifft. Sei es, dass es der Meinung ist, dass der Angeklagte grundsätzlich aus dem Sitzungssaal entfernt werden kann oder dass das Opfer grundsätzlich einen Anspruch auf audiovisuelle Zeugenvernehmung hat.

 

Durch die Einführung der psychosozialen Prozessbegleitung besteht nunmehr Hoffnung, dass diese Lücken, sowohl auf der Seite der juristischen Berater, wie auch auf Seiten der sozialen Berater, geschlossen werden. Die Praxis wird es zeigen.

 

Ein Opfer bedarf zunächst unterschiedlicher Unterstützung. Zum einen wäre als erstes der Anspruch des Opfers auf Rechtsbeistand. Diesbezüglich sind die Regelungen in der StPO umfangreich und nahezu vollständig. Die rechtliche Betreuung wird durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gewährleistet. Jeder, der intensiv Opfer berät und rechtlich betreut, weiß um deren oftmals bestehende psychosoziale Bedürfnisse. Diese zu erfüllen ist für einen Juristen kaum zu bewerkstelligen, insbesondere, wenn Opfer nicht bereit sind, sich an eine Beratungsstelle zu wenden, weil sie meinen, dass dieses nicht notwendig sei, da die Betreuung durch die Rechtsanwältin oder den Rechtsanwalt ausreichend ist. Dabei stößt ein Rechtsberater grundsätzlich dann an seine beruflichen und nicht selten mangels entsprechender Ausbildung und Supervision auch an seine persönlichen Grenzen. Mag noch so eine hohe Empathie für das Opfer bestehen, als Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind wir nicht ausgebildet, eine professionelle psychosoziale Prozessbegleitung zu unternehmen und es ist auch nicht unsere Aufgabe.

 

Auch wenn ein Opfer sich einer Privatperson als Begleitung bedient, wird diese mangels Erfahrung und Ausbildung nicht in der Lage sein, eine gute Prozessbegleitung zu leisten. Sind es Freunde oder nahe Angehörige von Opfern, mangelt es diesen bereits an der für eine Prozessbegleitung notwendigen professionellen Distanz. Freunde und Angehörige können ob ihrer emotionalen Nähe zum Opfer keine fundierte Prozessbegleitung gewährleisten.

 

Letztendlich kommen Beraterinnen und Berater von professionell geführten sozialpsychologischen Opfereinrichtungen an ihre Grenzen, wenn es um die Begleitung in einem Strafprozess geht. Inhalt ihrer Beratung ist meist nicht die Vorbereitung auf den Prozess, sondern vielmehr z.B. die Herbeiführung einer Stabilisierung oder das Bewältigen von aktuellen Alltagsproblemen. Psychosoziale Beraterinnen und Berater wollen oder sollten die Betreuten nicht zum Gericht begleiten, weil sie zu Recht befürchten müssen, als weitere Zeugen in den Zeugenstand gerufen zu werden, da die Opfer gegebenenfalls mit ihnen die Tat und ihre Umstände in den Beratungsgesprächen thematisiert haben. Sofern diesen professionellen Beratern kein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, müssen sie aussagen. Dieses wiederum erschüttert das Vertrauensverhältnis zwischen Beratern und den von ihnen Betreuten. Wichtig ist zu verstehen, dass es bei einer solchen Beratung nicht darauf ankommt, was objektiv passiert ist, sondern darauf, wovor ein Opfer Angst hat oder was ihm Probleme bereitet. Dieses stellt das zentrale Thema einer Beratung dar. Hierbei kommt es nicht auf die objektive Wahrheit an. Ein Psychologe befasst sich nicht wie ein Gericht mit der Wahrheit, sondern mit den Befindlichkeiten des Menschen. Die logische Konsequenz ist es daher, dass diese Art der Beratung und die Prozessbegleitung voneinander zu trennen sind, weil die psychosoziale Prozessbegleitung von Neutralität gekennzeichnet sein muss, während die Beratung subjektiv auf die Bedürfnisse des Opfer einzugehen hat. Das wird durch das Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren und seine Ausführungsgesetze nunmehr gewährleistet.

 

Durch die Einführung des § 406g StPO wurde die bisher nur als Belehrungspflicht in § 406h Absatz 1 Nr. 5 StPO a.F. erwähnte Prozessbegleitung im Gesetz verankert. § 406g StPO dient der Bereitstellung eines Opferunterstützungsdienstes im Sinne des Artikel 8 Richtlinie 2012/29/EU. § 406g Absatz 1 bestimmt, dass Verletzte sich des Beistands eines psychosozialen Prozessbegleiters bedienen können und dass diesem gestattet ist, bei Vernehmungen des Verletzten und während der Hauptverhandlung gemeinsam mit dem Verletzten anwesend zu sein. Dieses ist einfach zu verstehen. Hat der Verletzte einen psychosozialen Prozessbegleiter, so kann dieser den Verletzten in dieser Funktion zur Anzeigenerstattung, polizeilichen, staatsanwaltlichen oder richterlichen Zeugenvernehmungen begleiten, ohne dass ihm hierzu gesondert Zugang gewährt werden muss. Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte haben psychosozialen Prozessbegleitern die Anwesenheit zu gestatten. Dieses mag auf den ersten Blick bedenklich erscheinen, nicht zuletzt weil oft von Seiten der Verteidigung Argwohn gegenüber allen, die einem Opfer beistehen, besteht. Dabei spielt das Bild der Händchen haltenden oder der das Kind auf dem Schoß sitzen lassenden Nebenklagevertreterin[10] keine unwesentliche Rolle. Bei einer solchen Art der Betreuung handelt es sich aber um unprofessionelle, von Sympathie für das vermeintliche Opfer getragene vermeintliche Hilfestellung und nicht um eine von einem psychosozialen Prozessbegleiter zu gewährleistende von Neutralität getragenen Dienstleistung, so wie das Gesetz sie versteht und nunmehr festschreibt. Der Sorte Vertrauensperson, die aus einem falschen, überwiegend von Sympathie für das Opfer getragenen Verständnis heraus, ein Opfer durch ein Strafverfahren begleitet, kann in Zukunft die Anwesenheit bei einer polizeilichen oder staatsanwaltlichen Vernehmung oder einer Zeugenvernehmung in einer Hauptverhandlung verweigert werden, sofern dem Opfer ein nach dem Gesetz qualifizierter psychosozialer Prozessbegleiter, beigeordnet wird. Dieses ist zu begrüßen, stellt doch die falsche Art der Betreuung ein Risiko für den Beschuldigten auf ein faires Strafverfahren dar. Auch kann es die Position der Geschädigten schwächen und den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen zunichte machen.

 

Wichtig zu verstehen ist, dass der Gesetzgeber die psychosoziale Prozessbegleitung als die nicht-rechtliche Unterstützung von Verletzten versteht, die in Ergänzung zur Nebenklage besteht. Wurde ein psychosozialer Prozessbegleiter beigeordnet, so ist dennoch auch ein Rechtsanwalt als Nebenklagevertreter beizuordnen, wenn z.B. die Voraussetzungen des § 397a Absatz1 Nr. 5 StPO vorliegen, d.h. wenn ein Verletzter seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann. Ein Gericht wird die Beiordnung eines Nebenklagevertreters nicht aus dem Grunde ablehnen können, indem es sagt, dem traumatisierten Opfer sei ein psychosozialer Prozessbegleiter beigeordnet, also könne es nunmehr auch seine Rechte alleine wahrnehmen, da der Angst des Verletzten vor dem Angeklagten nunmehr durch die Prozessbegleitung Sorge getragen sei. Dasselbe gilt für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 397a Absatz 2 StPO.

 

Durch § 406g Absatz 2 StPO ist klargestellt, dass nicht jedermann sich zum psychosozialen Prozessbegleiter ernennen kann, sondern dass es hierzu einer bestimmten, vom Gesetz festgelegten Qualifikation bedarf. Er verweist insofern auf das Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren (PsychPbG).

 

Im PsychPbG werden die Grundsätze der psychosozialen Prozessbegleitung, die Anforderungen an der Qualifikation des psychosozialen Prozessbegleiters sowie dessen Vergütung geregelt. Dabei stellt § 2 Absatz1 PsychPbG nochmals klar, dass die psychosoziale Prozessbegleitung eine besondere Form der nichtrechtlichen Begleitung des schutzbedürftigen Verletzten im Strafverfahren ist. Ziel sei es, die individuellen Belastungen der Verletzten zu reduzieren und ihre Sekundärviktimisierung zu vermeiden.

 

In § 2 Absatz 2 PsychPbG wird hervorgehoben, dass die psychosoziale Prozessbegleitung von Neutralität gegenüber dem Strafverfahren und der Trennung von Beratung und Begleitung bestimmt ist. Klargestellt wird darüber hinaus, dass sie weder rechtliche Beratung ist, noch der Aufklärung des Sachverhalts dient. Auch bestimmt Absatz 2, dass sie zu keiner Beeinflussung des Zeugen oder von dessen Aussage führen darf. Gespräche über die im Strafverfahren behandelte Tat sind daher im Rahmen der psychosozialen Prozessbegleitung zu vermeiden. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass der psychosoziale Prozessbegleiter kein Zeugnisverweigerungsrecht hat. Hierüber ist der Verletzte zu Beginn der Begleitung zu informieren. Anders als ein therapeutischer Berater, kann der Prozessbegleiter daher in den Zeugenstand gerufen werden. Er hat zwar in der Ausübung seiner Begleitung eine Verpflichtung zur Vertraulichkeit, dieses gilt aber nicht in Bezug auf das Strafverfahren. Dieses ist sehr wichtig, um eine Transparenz der Begleitung zu schaffen, die es gegebenenfalls dem Gericht und den anderen Prozessbeteiligten, insbesondere dem Angeklagten und seinen Verteidigern, ermöglicht, zu überprüfen, ob eine Einflussnahme, sei sie bewusst oder unbewusst, auf den Zeugen stattgefunden hat.

 

Die Anforderungen an die Qualifikation eines psychosozialen Prozessbegleiters werden durch § 3 PsychPbG bestimmt. Während § 3 Absatz 1 PsychPbG von fachlicher, persönlicher und interdisziplinärerer Qualifikation spricht, bestimmt Absatz 2, dass ein psychosozialer Prozessbegleiter über ein abgeschlossenes Hochschulstudium im Bereich Sozialpädagogik, Soziale Arbeit, Pädagogik, Psychologie oder eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem dieser Bereiche sowie über den Abschluss einer von einem Land anerkannten Aus- und Weiterbildung zum psychosozialen Prozessbegleiter verfügen muss. Ferner muss er bereits über praktische Erfahrungen verfügen. Es reicht mithin nicht aus, dass ein Hochschulabsolvent direkt nach Erlangung dieser Qualifikation die Weiterbildung zum psychosozialen Prozessbegleiter absolviert.

 

§ 3 Abs. 3 PsychPbG schreibt vor, dass der psychosoziale Prozessbegleiter in eigener Kompetenz sicher zu stellen hat, dass er über die notwendige persönliche Qualifikation verfügt. Hierzu gehören insbesondere Beratungskompetenz, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Belastbarkeit sowie organisatorische Kompetenz.

 

Als Voraussetzungen für die interdisziplinäre Qualifikation benennt § 3 Absatz 4 PsychPbG ein Grundwissen in den Bereichen Medizin, Psychologie, Viktimologie, Kriminologie und Recht. Auch bestimmt Absatz 4, dass ein psychosozialer Prozessbegleiter in eigener Verantwortung Kenntnisse vom Hilfsangebot vor Ort für den Verletzten haben muss.

 

Letztendlich ist der psychosoziale Prozessbegleiter gemäß § 3 Absatz 5 PsychPbG verpflichtet, sich fortzubilden.

 

§ 4 PsychPbG überträgt den einzelnen Bundesländern, zu bestimmen, welche Personen und Stellen für die psychosoziale Prozessbegleitung anerkannt werden und welche weiteren Anforderungen hierfür an die Berufsausbildung, praktische Berufserfahrung, spezialisierte Weiterbildung und regelmäßige Fortbildungen zu stellen sind.

 

§§ 5 bis 10 PsychPbG befassen sich mit der Vergütung für die psychosoziale Prozessbegleitung. Ob diese ausreichend sein wird, muss sich in der Praxis zeigen. Eine Pauschvergütung, wie für beigeordnete Rechtsanwälte in besonders umfangreichen oder schwierigen Strafverfahren, ist nicht vorgesehen. Auch gibt es keinen Gebührentatbestand für einzelne Vernehmungen, sondern nur für Verfahrensabschnitte.  Hier ist zu bemerken, dass, wenn ein verletzter Zeuge über Wochen oder gar Monate im Zeugenstand ist, die finanziellen Möglichkeiten des psychosozialen Prozessbegleiters schnell an ihre Grenzen kommen werden, zumal für diesen Verfahrensabschnitt lediglich nach § 6 Nr. 2 PsychPbG 370,00 Euro festgesetzt werden können.

 

Nordrhein-Westfalen hat mit dem Gesetz zur Ausführung des Gesetzes über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren (AGPsychPbG)[11] vom 25.10.2016 den durch den Bundesgesetzgeber eröffneten Regelungsspielraum ausgefüllt. Dabei wurde davon ausgegangen, dass für die Zulassung von psychosozialen Prozessbegleitern im Interesse eines effektiven Opferschutzes und zur Vermeidung einer verfälschenden Einflussnahme auf das Strafverfahren hohe Qualitätsstandards anzulegen sind.

 

Neben der Anerkennung von Personen (§ 1 AGPsychPbG) und von Aus- und Weiterbildungen (§ 2 AGPsychPbG) werden die Zuständigkeiten hierfür (gem. § 3 AGPsychPbG die Oberlandesgerichte), das Erfordernis der Antragstellung (§ 4 AGPsychPbG) und besondere Pflichten (§ 5 AGPsychPbG) normiert. Hierbei bestimmt § 5 Absatz 1 AGPsychPbG, dass psychosoziale Prozessbegleiter die Verschwiegenheit bezüglich der ihnen anvertrauten oder sonst im Rahmen ihrer Tätigkeit bekannt gewordenen Umstände, die nicht allgemein zugänglich sind, zu bewahren haben. Nach Satz 2 bleiben die gesetzlichen Auskunftspflichten – wie sie für einen Zeugen bei seiner Aussage bestehen – hiervon unberührt. § 5 Absatz 2 AGPsychPbG befasst sich mit der Weiterbildungspflicht und der Verpflichtung zur jährlichen Supervision. Die Anerkennung als psychosozialer Prozessbegleiter ist nach § 6 Absatz 1 AGPsychPbG auf fünf Jahre befristet. § 7 AGPsychPbG verpflichtet den Prozessbegleiter zur Unterrichtung der zuständigen Stellen, wenn er die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt. Das ist beispielsweise der Fall, wenn entgegen § 1 Absatz 1 Nr. 3 AGPsychPbG die erforderliche persönliche Zuverlässigkeit nicht mehr besteht z.B. weil inzwischen eine strafrechtliche Verurteilung des psychosozialen Prozessbegleiters erfolgte. § 8 des AGPsychPbG regelt die Rücknahme und den Widerruf. Nach § 9 AGPsychPbG erfolgt in der Regel eine Anerkennung psychosozialer Prozessbegleiter, sowie von Aus- und Weiterbildungen aus anderen Bundesländern. Wichtig ist, dass es ein Verzeichnis der im Land zugelassenen psychosozialen Prozessbegleiter geben wird.

 

In Ausführung zum AGPsychPbG wird es in Nordrhein-Westfalen eine Verordnung zur Ausführung des Gesetzes des Gesetzes über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren geben. In dieser wird detaillierter der Umfang und Inhalt der psychosozialen Prozessbegleitung beschrieben, sowie die Voraussetzungen an die erforderliche persönliche Zuverlässigkeit bestimmt werden. Auch der Inhalt der Ausbildung ist in der Verordnung weitestgehend festgelegt, sowie auch die Bestimmungen über die Fortbildung und Supervision. Die Verordnung befasst sich ferner mit der Ausgestaltung des Verzeichnisses.

 

Nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in allen anderen Bundesländern gibt es ähnliche Ausführungsgesetze und Verordnungen. Es bleibt abzuwarten, ob diese in der Praxis ausreichen oder noch ergänzt werden. Insbesondere für den Fall, dass ein psychosozialer Prozessbegleiter in den Zeugenstand gerufen wird, sollten die juristischen Verfahrensbeteiligten darüber informiert sein, was Zweck, Inhalt und Umfang der psychosozialen Prozessbegleitung ist.

 

Darüber hinaus werden die zuständigen Gerichte sich mit den prozessualen Voraussetzungen befassen müssen, die die unentgeltliche Beiordnung ermöglichen. In § 406g Absatz 3 StPO sind die prozessualen Voraussetzungen geregelt, unter welchen einem Verletzen ein psychosozialer Prozessbegleiter beigeordnet werden kann, d.h. unter welchen Voraussetzungen der Staat für die Kosten der Inanspruchnahme aufkommen muss. Die Vorschrift verweist auf die Regelung zur Beiordnung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte als Nebenklagevertreter. Dabei wird im Falle der psychosozialen Prozessbegleitung unter einer Ist- und einer Kann-Beiordnung unterschieden.

 

In den Fällen des § 406g Absatz 3 Satz 1 StPO ist beizuordnen, wenn der Verletzte dieses beantragt und die Voraussetzungen des § 397a Absatz 1 Nr. 4 und 5 StPO vorliegen. Das betrifft nach § 397a Absatz 1 Nr. 4 StPO in erster Linie Taten gegen die sexuelle  Selbstbestimmung (§§ 174-182 StGB) zu Lasten von Verletzten, die zum Zeitpunkt der Tat das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder auch anderen Personen, die nicht in der Lage sind, ihre Interessen selbst ausreichend wahrzunehmen. Dabei spielt es weder bei der Beiordnung eines Rechtsanwalts als Nebenklagevertreter noch für die Beiordnung eines psychosozialen Prozessbegleiters eine Rolle, ob dem Verletzten bereits ein Begleiter bzw. ein Vertreter beigeordnet worden ist.  Nach § 397a Absatz 1 Nr. 5 hat eine Beiordnungsmöglichkeit auf Antrag des Verletzten zu erfolgen, sofern er bei gewissen Taten (§§221, 226, 226a, 232-235, 237, 238 Absatz 2 und 3, §§ 239a, 239b, 240 Absatz 4, §§ 249, 250, 252, 255 und 316a StGB), egal ob als Verbrechen oder als Vergehen vorliegend, bei Antragstellung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder er seine Interessen nicht ausreichend selber wahrnehmen kann.

 

Die Kann-Beiordnung hat auf Antrag zu erfolgen, wenn die Voraussetzungen des § 397a Absatz 1 Nr. 1 bis 3 vorliegen, also nur wenn ein Verbrechen nach den §§ 177, 179, 232 bis 232b und 233a StGB (Nr. 1), ein versuchtes Tötungsdelikt nach §§ 211 und 212 StGB (Nr. 2) oder ein Verbrechen nach den §§ 226, 226a, 234 bis 235, 238 bis 239b, 249, 250, 252, 255 und 316a StGB (Nr. 3) vorliegen, wobei die Taten in den letztgenannten Fällen beim Verletzten zu schweren körperlichen oder seelischen Schäden geführt haben müssen oder voraussichtlich führen werden. Hinzu muss die besondere Schutzbedürftigkeit des Verletzten gemäß § 406g Absatz 3 StPO gegeben sein. Diese wird nicht ausgeräumt, sofern dem Verletzten bereits ein Rechtsanwalt beigeordnet wurde.

 

Neben Kindern und Jugendlichen sollen damit auch andere Menschen Zugang zur kostenlosen psychosozialen Prozessbegleitung erhalten, wenn auch sie als schutzbedürftig angesehen werden können. Dieses gilt vor allem für ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen, aber auch für diejenigen, die Opfer während eines längeren Tatzeitraums geworden sind, wie z.B. bei Opfern von häuslicher Gewalt oder Stalking, oder Betroffene von vorurteilsmotivierter Gewalt und sonstiger Hasskriminalität, sowie Betroffene von Menschenhandel.[12]

 

Die Beschränkung einer Beiordnung auf Staatskosten auf diese Fälle ist gerechtfertigt. Nur ein direkt durch eine Straftat Verletzter kann kostenlose Begleitung erhalten. Kindliche und jugendliche Verletzten von Sexual- und Gewaltdelikten oder solche Personen, die aus persönlichen Gründen nicht in der Lage sind, ihre Interessen ausreichend wahrzunehmen, bedürfen des besonderen Schutzes. Selbstverständlich bleibt es einem jeden anderen Opfer vorbehalten, sich der Unterstützung eines psychosozialen Prozessbegleiters auf eigene Kosten zu bedienen.

 

Für die Auswahl eines psychosozialen Prozessbegleiters gilt in Anlehnung für die Auswahl eines notwendigen Verteidigers gemäß § 406g Absatz 3 Satz 4 StPO die Regelung des § 142 Abs.1 StPO. Hiernach ist der psychosoziale Prozessbegleiter, den der Antragsteller benennt, beizuordnen. Nur wenn kein psychosozialer Prozessbegleiter benannt wird, kann das Gericht von sich aus einen bestimmen.

 

Letztendlich wird durch § 406g Absatz 3 Satz 5 StPO festgestellt, dass ein psychosozialer Prozessbegleiter bereits im Vorverfahren beigeordnet werden kann. Zuständig ist das nach § 162 StPO bestimmte Gericht. Das ist auch die logische Konsequenz aus § 6 PsychPbG, da hierfür auch ein Gebührentatbestand (§ 6 Nr. 1 PsychPbG 520 Euro) existiert.

 

Wie bereits oben erwähnt, kann einem nicht beigeordneten psychosozialen Prozessbegleiter die Anwesenheit bei einer Vernehmung des Verletzten untersagt werden, wenn dies den Untersuchungszweck gefährden könnte, § 406g Absatz 4 StPO. Die Entscheidung trifft die die Vernehmung leitende Person; die Entscheidung ist nicht anfechtbar. Die Gründe einer Ablehnung sind aktenkundig zu machen.

 

Fazit:

 

Als umfangreich im Bereich des Opferrechts tätige Rechtsanwältin begrüße ich die Einführung einer qualifizierten, von der sonstigen Opferberatung getrennten psychosozialen Prozessbegleitung ausdrücklich. Ich arbeite bereits seit Jahren mit Prozessbegleitern, die ihre Aufgabe als solche verstehen und auch wahrnehmen, zusammen. Ihre Begleitung im Prozess stellt nicht nur für das Opfer eine enorme Hilfe dar, sondern auch eine Entlastung für mich, da ich mich auf meine wesentliche Aufgabe, die rechtlichen Vertretung des Mandanten konzentrieren kann und nicht durch ihre Ängste und Sorgen zusätzlich belastet werde. Auch für den Angeklagten bedeutet die Einführung einer qualifizierten psychosozialen Prozessbegleitung die Sicherstellung, dass der im Prozess gegen ihn Aussagende (vermeintlich Geschädigte) durch den Begleiter nicht beeinflusst und dass in dessen Aussage nicht eingegriffen wird. Für das Gericht stellt ein psychosozialer Prozessbegleiter sicher, dass dem Opfer der Schutz im Verlaufe des Strafverfahrens zuteil wird, dessen das Opfer bedarf und für den das Gericht Sorge zu tragen hat. Das Gericht muss von sich aus nicht mehr genau durch Befragung sicherstellen, dass der das Opfer begleitende auch hierzu geeignet ist. Denn kurz gesagt gilt in der Zukunft: Nur da wo psychosoziale Prozessbegleitung drauf steht ist auch psychosoziale Prozessbegleitung drin. Die psychosoziale Prozessbegleitung ist eine gute hilfreiche Ergänzung. Auch wenn eine weitere Person in einem Strafprozess mit eingebunden werden muss, was die Organisation in gewisser Weise erschweren mag, wird die Rechtpflege durch sie ent- und nicht belastet.

 

Die Rechtsanwaltskammer Hamm unterhält im Rahmen ihres Bürgerservices einen Anwaltssuchdienst, in dem sich Kammermitglieder zu verschiedenen Rechtsgebieten eintragen lassen können.

Diese Rechtsgebiete sind um das Opferrecht ergänzt worden, um Betroffenen oder ihren psychosozialen Prozessbegleitern auf der Suche nach rechtlichem Beistand Kontaktadressen vermitteln zu können.

Interessierte Kammermitglieder, die sich neu eintragen oder bestehende Eintragungen ändern lassen wollen, können sich unter der Telefonnummer: 02381/9850-20 melden.

 



[1] BGBl I 2015 I 2529

[2] im weiteren Text gilt die männliche Form

[3] BGBl 2015 I 2525

[4] weitere Informationen: www.justiz.nrw.de/BS/opferschutz/psychosoz_prozessbegl/recht_grundlagen/index.php

[5] http://data.europa/eli/dir/2012/29/oj

[6] BRDrs 56/15

[7]GV.NRW Drs. 2016 S.865

[8] Meyer-Goßner/Schmitt 58. Aufl. § 406h RdNr. 14

[9] Barton in StraFo 2011 Heft 5 161 (165)

[10] so geschildert in Barton a.a.O.

[11] GV.NRW S.865

[12] BT-Drs. 18/4621 (S. 32)