von Rechtsanwältin Lena Koch, juristische Referentin der Rechtsanwaltskammer Hamm

Gemäß §§ 50 Nr. 3, 51 Abs. 1 und Abs. 2 Geldwäschegesetz (GwG) ist die Rechtsanwaltskammer die zuständige Aufsichtsbehörde für Rechtsanwälte und Kammerrechtsbeistände nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 GwG. Im Rahmen der ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgabe kann die Rechtsanwaltskammer die geeigneten und erforderlichen Maßnahmen und Anordnungen treffen, um die Einhaltung der im GwG und der aufgrund des GwG ergangenen Rechtsverordnungen festgelegten

Anforderungen sicherzustellen. Gemäß § 51 Abs. 3 S. 1 und S. 2 GwG kann die Rechtsanwaltskammer bei den Verpflichteten Prüfungen zur Einhaltung der im GwG festgelegten Anforderungen durchführen. Die Prüfungen können auch ohne besonderen Anlass vor Ort und anderswo erfolgen. Das GwG schreibt für die Rechtsanwaltskammern zwingende Prüf-, Berichts- und Meldepflichten vor, §§ 44, 51 GwG. Die Rechtsanwaltskammern haben daher Kontrollen durchzuführen, um der Entschließung der europäischen Union zu einer umfassenden Politik zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung nachzukommen. Neben dem Prüfungsrecht wurde den zuständigen Aufsichtsbehörden als mögliches aufsichtsrechtliches Instrument ein Auskunfts- und Unterlagenvorlagerecht in § 52 Abs. 1 und Abs. 6 GwG eingeräumt.

1. Die Mitwirkungspflicht nach § 52 Abs. 1 und Abs. 6 GwG

Nach § 52 Abs. 1 GwG hat der Verpflichtete, die Mitglieder seiner Organe und seine Beschäftigten den Aufsichtsbehörden Auskunft über alle Geschäftsangelegenheiten und Transaktionen zu erteilen, sowie Unterlagen vorzulegen, die für die Einhaltung der im GwG festgelegten Anforderungen von Bedeutung sind. Die entsprechende Pflicht besteht für Personen, bei denen aufgrund ihrer Geschäftstätigkeit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Verpflichtete nach § 2 Abs. 1 GwG sind. Sie haben der zuständigen Aufsichtsbehörde auf Verlangen unentgeltlich Auskunft über alle Geschäftsangelegenheiten zu erteilen und Unterlagen vorzulegen, soweit dies für die Feststellung der Verpflichteteneigenschaft erforderlich ist, § 52 Abs. 6 GwG. Erteilt der Verpflichtete oder die mitwirkungspflichtige Person entgegen § 52 Abs. 1 oder Abs. 6 GwG Auskünfte nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig oder legt er Unterlagen nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig vor, stellt dies eine Ordnungswidrigkeit nach § 56 Abs. 1 Nr. 73 GwG dar.

Der Begriff der Auskunft ist dem Normzweck nach weit zu verstehen. Darunter fallen nicht nur Mitteilungen von Tatsachen, sondern auch Beurteilungen und sonstige subjektive Einschätzungen (z. B. Zuverlässigkeit eines Mitarbeiters).[1] Dabei muss allerdings ein Bezug zu Geschäftsangelegenheiten und Transaktionen bei den Verpflichteten vorliegen, die für die festgelegten Anforderungen des Geldwäschegesetzes von Bedeutung sind. Hierbei kann sich die Auskunft auf allgemeine Vorgänge, (z. B. die Umsetzung der internen Sicherungsmaßnahmen) genauso wie auf spezielle Angelegenheiten (z. B. konkreter Verdachtsfall) beziehen.[2]

Auch der Begriff der Unterlagen ist weit auszulegen und bezieht sich auf alle Unterlagen mit einer Relevanz zu den Anforderungen des GwG. Aus dem Wort „vorzulegen“ lässt sich entnehmen, dass die Unterlagen den Aufsichtsbehörden so zur Verfügung zu stellen sind, dass sie diese einsehen und prüfen können (z. B. Dokumente im Zusammenhang mit der Identifizierungspflicht).

Das GwG verpflichtet somit die betroffenen Rechtsanwälte unter Bußgeldandrohung zur Unterstützung der Rechtsanwaltskammer, damit diese ihre Aufgaben wahrnehmen kann und auf diese Weise an entscheidungsrelevante Informationen gelangt.

2. Das Spannungsverhältnis zur Selbstbelastungsfreiheit

Im Straf- und Bußgeldverfahren steht dem Beschuldigten ein umfassendes Recht zu, jede aktive Mitwirkung an seiner Überführung zu verweigern. Demgegenüber steht die Mitwirkungspflicht nach § 52 Abs. 1 und Abs. 6 GwG, die eine effektive verwaltungsrechtliche Aufsicht sicherstellen soll. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Rechte und Möglichkeiten der Betroffenen, sich den Ermittlungen im Rahmen des Straf- oder Bußgeldverfahrens zu entziehen, im Vergleich zu einem „herkömmlichen“ straf- oder bußgeldrechtlichen Ermittlungsverfahren erheblich eingeschränkt werden.[3] Es müssen eindeutige Regelungen und Vorgehensweisen geschaffen werden, um zu einer angemessenen Rechtsposition des Betroffenen zu gelangen, welche das Spannungsverhältnis zwischen der Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren und der Selbstbelastungsfreiheit im Straf- und Bußgeldverfahren weitestgehend aufzulösen.

a) Die Selbstbelastungsfreiheit im Rahmen des § 52 Abs. 4 GwG und im Straf- und Bußgeldverfahren

Gemäß § 52 Abs. 4 GwG kann der zur Erteilung einer Auskunft Verpflichtete die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn selbst oder einen der in § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 ZPO bezeichneten Angehörigen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten aussetzen würde. Damit wird im Geldwäschegesetz dem rechtsstaatlichen Grundsatz Rechnung getragen, dass das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen zur umfassenden Aussageverweigerung berechtigt.[4] Angehörige im Sinne des § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 ZPO sind der Verlobte einer Partei, der Ehegatte einer Partei, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht, diejenigen, die mit einer Partei in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert sind oder waren. Entsprechendes gilt für die Lebenspartner einer Partei oder derjenige, mit dem die Partei ein Versprechen eingegangen ist, eine Lebenspartnerschaft zu begründen.

Im Verwaltungsverfahren erstreckt sich der Schutzumfang nur auf das Recht zur Auskunftsverweigerung. Bei mehreren Fragen kann das Recht auch nur für solche Fragen gelten, bei denen die Voraussetzungen der Auskunftsverweigerung erfüllt sind. Stellt sich heraus, dass Fragen zu Unrecht nicht beantwortet wurden, kann dagegen nach § 56 Abs. 1 Nr. 73 GwG bußgeldrechtlich vorgegangen werden, da die Auskunft nicht oder nicht rechtzeitig abgegeben wurde.

Während im Hinblick auf die Auskunft den verpflichteten Rechtsanwalt nach § 52 Abs. 4 GwG ein Auskunftsverweigerungsrecht im Sinne der Selbstbelastungsfreiheit zusteht, sieht § 52 Abs. 4 GwG eine entsprechende Regelung für die Verweigerung der Vorlage von Unterlagen nicht vor. Die Regelung ist insoweit eindeutig. Die zur Mitwirkung Verpflichteten nach § 52 Abs. 1 GwG und Personen nach § 52 Abs. 6 GwG sind daher nicht berechtigt, die Vorlage von Unterlagen oder eine Prüfung zu verweigern, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob diese Aufzeichnungen später als Beweismittel für die Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit dienen können. Eine Prüfung muss in jedem Fall geduldet werden.[5] Eine weite Auslegung zu Gunsten des Verpflichteten würde schon gegen den Wortlaut der Norm sprechen. Eine entsprechende Ergänzung der Regelung im Rahmen der Gesetzesanwendung ist methodisch auch vor dem Hintergrund eines eventuell drohenden Strafverfahrens nicht begründbar. Die Rechtsprechung hat diese umfassenden Mitwirkungspflichten non-verbaler Art unter dem Aspekt der Selbstbelastungsfreiheit bislang nicht beanstandet. Der notwendige Schutz des Betroffenen sei bereits durch das Auskunftsverweigerungsrecht gewährleistet. Hinsichtlich der Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten bestehe keine Zwangslage, da von dem Betroffenen erwartet werden könne, dass er die Begehung von Straftaten unterlässt; dies gilt im besonderen Maße für die der Aufsicht der Rechtsanwaltskammern unterliegenden nach dem GwG verpflichteten Rechtsanwälte. Auch eine natürliche Person kann dementsprechend, sei es als Verpflichteter, Mitglied eines Organes oder Beschäftigter, auf der Basis des § 52 Abs. 4 GwG verpflichtet werden, bestimmte Unterlagen herauszugeben, selbst wenn sie sich mit der Herausgabe der Unterlagen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung oder eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens aussetzt. Da die Unterlagen im Sinne des GwG erstellt werden, unterliegen sie dem öffentlichen Geldwäschepräventionsinteresse. Die Rechtsanwaltskammer ist dementsprechend in jedem Fall berechtigt, insbesondere die Dokumentation der Risikoanalyse gemäß § 5 GwG, der Identifizierungspflicht gemäß §§ 8 Abs. 2 S. 2, 10 Abs. 1 Nr. 1, 11 ff. GwG sowie der konkreten Risikobewertung im Einzelfall gemäß §§ 8 Abs. 1 Nr. 2, 10 Abs. 2, 14 Abs. 1, 15 Abs. 2 GwG zu überprüfen und sich vorlegen zu lassen.

Die Vereinbarkeit außerstrafrechtlicher Mitwirkungspflichten mit dem nemo-tenetur-Prinzip ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung erstmals im sogenannten Gemeinschuldnerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1981 problematisiert worden.[6] Das Bundesverfassungsgericht stellte zunächst fest, dass jede zwingbare Auskunftspflicht einen Eingriff in das grundgesetzlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG darstelle und hob hervor, dass das nemo-tenetur-Prinzip zu den Grundsätzen eines rechtsstaatlich geführten Strafprozesses gehöre und Ausdruck einer rechtsstaatlichen Grundhaltung sei, die auf dem Leitgedanken der Achtung, der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG beruhe. Dennoch sei eine uneingeschränkte Auskunftspflicht im Verwaltungsverfahren verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Für den im Verwaltungsverfahren Auskunftspflichtigen könne nicht das gleiche gelten, wie für einen Beschuldigten in einem Straf- oder Bußgeldverfahren, weil seine Rechte ihre Grenzen in den Rechten der weiteren Beteiligten fänden, die auf seine Auskünfte angewiesen seien. Es sei allerdings mit der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar, wenn der im Verwaltungsverfahren Auskunftspflichtige dadurch gleichzeitig die Voraussetzungen für eine strafgerichtliche Verurteilung oder eine ähnliche Sanktion liefern müsse, weil das im Strafverfahren eingeräumte Schweigerecht „illusorisch“ wäre, wenn die im außerstrafrechtlichen Verfahren erzwungene Selbstbelastung im Strafverfahren gegen den Betroffenen verwand werden könne. Deshalb müsse für derartige selbstbelastende Aussagen ein strafrechtliches Verwertungsverbot gelten. [7] Im Ergebnis darf die selbstbelastende Aussage daher nicht gegen den Willen des Betroffen „zweckentfremdet“ und im Rahmen der Strafverfolgung verwertet werden.[8]

Die Anerkennung der gesetzlichen Aufzeichnungs-, Dokumentations- und Vorlagepflichten durch die obergerichtliche Rechtsprechung begegnet bereits aus praktischen Erwägungen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Bestünde die Pflicht in den Fällen möglicher Selbstbezichtigung nicht, könnte der Betroffene entscheiden, berechtigte staatliche Überwachungsinteressen gerade dort einzuschränken, wo diesen besonderes Gewicht zukommt.[9] Ohne die Mitwirkung der Verpflichteten nach dem GwG - also ohne Informationen und Informationschancen - ist eine ordnungsgemäße Durchführung der Aufsicht durch die zuständigen Aufsichtsbehörden nicht möglich. Eine effektive verwaltungsrechtliche Aufsicht ist erst durch die Aufsichtsbefugnisse und den daraus resultierenden Erkenntnismöglichkeiten gewährleistet.

Entscheidend ist, dass die Aufsichtsbefugnisse ausnahmslos als präventive Überwachungsmaßnahmen ausgestaltet sind. Diese präventiven Maßnahmen wie Auskunftsersuchen, Dokumentations- und Vorlagepflichten können im Vorfeld eines Straf- oder Bußgeldverfahrens verfassungskonform eingesetzt werden.

b) Die Abgrenzung von präventivem und repressivem Verwaltungshandeln

Im Gegensatz zur verfassungskonformen Einsetzung der präventiven Maßnahmen im Vorfeld eines Straf- oder Bußgeldverfahrens ist eine andere Bewertung vorzunehmen, wenn die Ausübung von „Aufsichtsbefugnissen“ bereits dem repressiven Verwaltungshandeln zuzurechnen ist; der Betroffene ist dann nicht mehr auf sein Auskunftsverweigerungsrecht aus § 52 Abs. 4 GwG beschränkt. Vielmehr stehen ihm dann sämtliche Beschuldigtenrechte zu. Er ist durch die Bußgeldbehörde darüber zu belehren, dass es ihm freisteht, sich zu dem Vorwurf zu äußern. Er ist in keiner Weise zu einer aktiven Mitwirkung verpflichtet. Mit dem Übergang in das bußgeldrechtliche Verfahren findet ein grundlegender Wechsel in der Rechtslage und den Rechtspositionen, sowohl der Behörde als auch des Betroffenen, statt. Der Abgrenzung von präventivem und repressivem Verwaltungshandeln kommt daher enorme Bedeutung zu. Es kommt entscheidend auf die Frage an, ob die zuständige Behörde als Aufsichts- oder Bußgeldbehörde im Sinne des GwG tätig werden, also bereits von einem bußgeldrechtlichen Verfahren ausgegangen werden muss. Werden bereits Ermittlungen im bußgeldrechtlichen Verfahren getätigt, erstarkt das bloße Auskunftsverweigerungsrecht des Betroffenen zu einem umfassenden Recht jede aktive Mitwirkung an den Ermittlungen zu verweigern.

Aufgrund der Doppelzuständigkeit der Rechtsanwaltskammer als Aufsichts- und Verfolgungsbehörde im Sinne des GwG bleibt unklar, ob das Aufsichts- oder Kontrollersuchen noch im Rahmen der präventiven Aufsicht erfolgt oder bereits eine - im Bußgeldverfahren unzulässige - Ermittlungshandlung darstellt. Problematisch ist also, dass die Ausübung der Aufsichtsbefugnisse nach der Konzeption des GwG zwar im - präventiven - Aufsichtsverfahren ergeht, in der Praxis jedoch häufig zugleich die Aufklärung eines ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sachverhalts zum Ziel hat. Für den Betroffenen ist es grundsätzlich anhand der äußerlich neutralen Maßnahme nicht erkennbar, in welchem Verfahren die Rechtsanwaltskammer tätig wird.

Dieser besondere Umstand muss dahingehend Berücksichtigung finden, dass die Beschuldigtenrechte im vollen Umfang bereits dann gewährleistet werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine Ordnungswidrigkeit gegeben sind. Die allgemeinen Grundsätze zur Frage, wann von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens auszugehen ist und eine Person in die Rolle eines Beschuldigten rückt, sind insoweit folglich zu modifizieren. Es kann weder auf einen Willensakt der zuständigen Verfolgungsbehörde, die aufgrund ihrer Doppelzuständigkeit das Bußgeldverfahren nicht zu früh einleiten wird, noch auf das Kriterium der Erkennbarkeit eines straf- oder bußgeldrechtlich motivierten Vorgehens, welches bei den äußerlich neutralen Maßnahmen nicht greifen kann, abgestellt werden. Dementsprechend muss allein entscheidend sein, ob bereits tatsächliche Anhaltspunkte für eine Ordnungswidrigkeit gegeben sind, also ein Anfangsverdacht besteht. Bereits der Anfangsverdacht einer Ordnungswidrigkeit begründet dementsprechend einen Wandel grundlegender Rahmenbedingungen mit der Folge, dass sich die Rechtstellung des Betroffenen nicht mehr nach dem Verwaltungsrecht, also nach § 52 Abs. 4 GwG, bestimmt, sondern seine Rechte als Betroffener eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens zur Geltung kommen.

Die dargelegten Grundsätze finden eine Bestätigung in der Rechtsprechung des EGMR. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs sind das Recht zu Schweigen und das Recht, sich nicht selbst beschuldigen zu müssen, allgemein anerkannte internationale Grundsätze, die das Herzstück des Begriffs des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 EMRK bilden. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1984 hat der Gerichtshof Art. 6 EMRK für das gerichtliche Bußgeldverfahren für anwendbar erklärt.[10] Danach ist ein Betroffener jedenfalls nach dem Zeitpunkt der Mitteilung des Bußgeldbescheids, den er nicht hinzunehmen bereit ist, einem Angeklagten im Sinne des Art. 6 EMRK gleichzustellen. In einer weiteren Entscheidung hat der EGMR dargelegt, dass das Schweigerecht des Beschuldigten auch durch außerstrafprozessuale Mitwirkungspflichte nicht ausgehebelt werden darf.[11] Das Recht, sich nicht selbst beschuldigen zu müssen, wird dabei in erster Linie auf das Schweigerecht selbst, also das Recht, verbale Selbstbelastung zu unterlassen, bezogen. Mit einer Entscheidung aus dem Jahr 2001 hat der Gerichtshof den nemo-tenetur-Grundsatz im Straf- und Bußgeldverfahren ausdrücklich auch auf die Vorlage von Urkunden erstreckt.[12].

3. Das Spannungsverhältnis zur Verschwiegenheitspflicht

Der Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die Pflicht zur Verschwiegenheit  - abgesichert durch § 203 StGB - gehört zu den Kernpflichten von Rechtsanwälten. Sie steht im Rang gleichberechtigt neben den beiden anderen „core values“, der Unabhängigkeit der Rechtsanwälte und dem Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen

a) Die Verschwiegenheitspflicht nach §§ 43 a Abs. 2 BRAO, 52 Abs. 5 GwG

Die Verschwiegenheitspflicht bezieht sich auf alles, was dem Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufes bekannt geworden ist. Dies gilt nicht für Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen. Diese statusbildende Grundpflicht zur Verschwiegenheit ist in § 43 a Abs. 2 BRAO dem Grundsatz nach geregelt und ist gemäß § 59 b Abs. 2 Nr. 1 lit. c) BRAO in § 2 BORA näher konkretisiert worden. [13] Das Gebot der Verschwiegenheit zählt zu den tragenden Säulen des Anwaltsberufs. Die strikte Verschwiegenheit ist die unerlässliche Basis des Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Integrität und Zuverlässigkeit des einzelnen Berufsangehörigen sowie das Recht und die Pflicht zur Verschwiegenheit sind die Grundbedingungen dafür, dass dieses Vertrauen entstehen kann. [14] Die Verletzung dieser Pflicht ist sowohl berufsrechtlich, § 113 Abs. 1 BRAO, als auch strafrechtlich, § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB, sanktioniert. Das Berufsgeheimnis wird als anwaltliche Grundpflicht und Voraussetzung für die sachgerechte anwaltliche Berufsausübung durch Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG geschützt. Ohne gesetzliche Garantie von Recht und Pflicht zur Verschwiegenheit stünde die anwaltliche Berufsausübung überhaupt in Frage.[15]

Der Tatbestand der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht nach § 43 a Abs. 2 BRAO setzt einen Zusammenhang zwischen der Kenntniserlangung und der anwaltlichen Berufsausübung voraus. Bereits die Anbahnung des Mandats zählt zum geschützten Bereich; der Rechtsanwalt ist also zum Schweigen verpflichtet, auch wenn er das ihm angetragene Mandat ablehnt.[16]

Offenkundige Tatsachen und solche, die Ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen, unterliegen gemäß § 43 a Abs. 2 S. 3 BRAO nicht der Verschwiegenheitspflicht. Eine Tatsache ist offenkundig, wenn verständige und erfahrene Menschen sie entweder in der Regel kennen müssen oder sich über die aus allgemein zugänglichen und zuverlässigen Quellen unschwer unterrichten können. Wissen, dass man sich nur mit besonderen Fachkenntnissen aus allgemeinen zugänglichen Quellen aneignen kann, ist danach nicht offenkundig.[17]
2 Abs. 1 S. 2 BORA bekräftigt ausdrücklich, dass die Verschwiegenheitspflicht zeitlich unbegrenzt gilt, auch über das Mandatsende hinaus. Dabei gilt die Verschwiegenheitspflicht gegenüber Jedermann, also auch gegenüber Familienangehörigen und anderen Rechtsanwälten.

Das GwG trägt der besonderen Vertrauensstellung bei einer Rechtsberatung und Prozessvertretung Rechnung, indem ein besonderes Auskunftsverweigerungsrecht in § 52 Abs. 5 GwG geregelt wird. Demnach können Rechtsanwälte die Auskunft auf Fragen verweigern, wenn sich diese Fragen auf Informationen beziehen, die sie im Rahmen der Rechtsberatung oder der Prozessvertretung des Vertragspartners erhalten haben. Das besondere Auskunftsverweigerungsrecht besteht nicht, wenn der Verpflichtete weiß, dass sein Mandant seine Rechtsberatung für den Zweck der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in Anspruch genommen hat oder nimmt. In diesen Fällen bleibt die Pflicht zur Auskunft bestehen. Der Schutzumfang des § 52 Abs. 5 GwG erstreckt sich nur auf das Recht zur Auskunftsverweigerung. Die verpflichteten Rechtsanwälte sind daher nicht berechtigt, die Vorlage von Unterlagen oder eine Prüfung nach dem GwG zu verweigern.

Die Verschwiegenheitspflicht ist ungeachtet ihrer für das anwaltliche Berufsbild herausragenden Bedeutung vielfältigen „Angriffen“ ausgesetzt. Im GwG und in den aufgrund des GwG ergangenen Rechtsverordnungen sind Tatbestände geschaffen worden, welche die Verschwiegenheitspflicht der Rechtsanwälte durchbrechen, sodass es im Rahmen der Geldwäscheprävention in vielen Fällen zu einer Umgehung der Verschwiegenheitspflicht der Rechtsanwälte kommen kann.

b) Durchbrechungen der Verschwiegenheitspflicht durch das GwG

Neben der Mitwirkungspflicht nach § 52 Abs. 1 und Abs. 6 GwG stellt § 43 Abs. 1 GwG grundsätzlich eine Durchbrechung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht dar, soweit der Rechtsanwalt zur Verdachtsmeldung verpflichtet ist. Nach § 43 Abs. 1 GwG hat der Verpflichtete einen Sachverhalt unabhängig vom Wert des betroffenen Vermögensgegenstandes oder der Transaktionshöhe unverzüglich der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) zu melden, sofern Tatsachen vorliegen, die darauf hindeuten, dass ein Vermögensgegenstand, der mit einer Geschäftsbeziehung, einem Maklergeschäft oder einer Transaktion im Zusammenhang steht, aus einer strafbaren Handlung stand, die eine Vortat der Geldwäsche darstellen könnte (Nr. 1), ein Geschäftsvorfall, eine Transaktion oder ein Vermögensgegenstand im Zusammenhang mit Terrorismusfinanzierung steht (Nr. 2) oder der Vertragspartner seine Pflichten nach § 11 Abs. 6 S. 3 GwG, gegenüber dem Verpflichteten offenzulegen, ob er die Geschäftsbeziehung oder die Transaktion für einen wirtschaftlich Berechtigten begründen, fortsetzen oder durchführen will, nicht erfüllt hat (Nr. 3).

Durch die Ausnahme in § 43 Abs. 2 GwG, die den Rechtsanwalt in den dort beschriebenen Fällen von der Verpflichtung zur Verdachtsmeldung ausnimmt, besteht keine Durchbrechung mehr von der Schweigepflicht, sodass der Rechtsanwalt nicht nur zur Meldung nicht verpflichtet, sondern wegen der Verschwiegenheitspflicht dazu nicht berechtigt ist. Diese Ausnahme gilt nur für Fälle, in denen sich der meldepflichtige Sachverhalt auf Informationen bezieht, die der Rechtsanwalt im Rahmen von Tätigkeiten der Rechtsberatung oder Prozessvertretung erhalten hat. Die Meldepflicht bleibt bestehen, wenn der verpflichtete Rechtsanwalt weiß, dass der Vertragspartner die Rechtsberatung oder Prozessvertretung für den Zweck der Geldwäsche, der Terrorismusfinanzierung oder einer anderen Straftat genutzt hat oder nutzt, oder ein Fall des § 43 Abs. 6 GwG vorliegt. Danach kann das Bundesministerium der Finanzen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Sachverhalte bei Erwerbsvorgängen nach § 1 des Grunderwerbssteuergesetzes bestimmen, die von Verpflichteten nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 und Nr. 12 GwG stets nach § 43 Abs. 1 GwG zu melden sind.

Die seit dem 01.10.2020 geltende Verordnung zu den nach dem Geldwäschegesetz meldepflichtigen Sachverhalten im Immobilienbereich (GwGMeldV-Immobilien) bestimmt gemäß § 43 Abs. 6 GwG Sachverhalte bei Immobilientransaktionen, die von Verpflichteten der rechtsberatenden Berufe an die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) zu melden sind. Dabei schafft die Verordnung weitergehende materiell-rechtliche Meldepflichten als § 43 Abs. 1 GwG vorsieht. Meldepflichtig sind typisierte Sachverhalte bei Immobilientransaktionen, die aufgrund bestimmter Auffälligkeiten einen möglichen Zusammenhang zu Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung aufweisen. So müssen unter anderem Sachverhalte gemeldet werden, bei denen die Transaktionen einen Bezug zu Staaten aufweist, die nach EU- oder FATF-Vorgaben als Risikostaaten gelistet sind, oder bei denen Auffälligkeiten im Zusammenhang mit den beteiligten Personen bestehen.

Bezüglich des besonderen strafbewehrten Schutzes des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Mandanten und dem Rechtsanwalt ist nach wie vor offen, was den Rechtsanwälten zur Erfüllung ihrer Pflichten sowohl nach der BRAO und der BORA, sowie nach dem GwG anzuraten ist. Der Verordnungsgeber zwingt Rechtsanwaltskammern und andere Aufsichtsbehörden in eine missliche Situation und schafft neue Vorbehalte bei den Verpflichteten, bei denen gerade mit viel Einsatz versucht wird, Sensibilität, Akzeptanz und Bereitschaft zu erreichen. Die Regelung konkreter Meldesachverhalte soll den Verpflichteten eine klare Abgrenzung ermöglichen, wann sie eine Meldepflicht gegenüber der FIU trifft, in welchen Fällen die Verschwiegenheit bestehen bleibt; jedoch ist das Gegenteil der Fall. Die GwGMeldV-Immobilien trägt zu einer rechtsunsicheren Anwendung der Meldepflicht bei.

4. Zusammenfassung

Die Mitwirkungspflicht nach § 52 Abs. 1 und Abs. 6 GwG steht in Spannungsverhältnissen sowohl zur Selbstbelastungsfreiheit als auch zur Verschwiegenheitspflicht, welche sich nicht lösen lassen; die Spannungen müssen bewusst sein, damit ihnen im alltäglichen Geschäft der Rechtsanwälte und Aufsichtsbehörden praxisgerecht begegnet werden kann.

Im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zur Selbstbelastungsfreiheit ist es notwendig, genau festlegen zu können, wann ein Ordnungswidrigkeitenverfahren beginnt, um eine angemessene Rechtsposition des möglicherweise Betroffenen eines Bußgeldverfahrens durchsetzen zu können. Ansatzpunkt hierfür ist aufgrund der Doppelzuständigkeit der Rechtsanwaltskammer als Aufsichts- und Bußgeldbehörde im Sinne des GwG nur das Bestehen eines Anfangsverdachts. Sobald ein Anfangsverdacht gegeben ist, erstarkt das bloße Auskunftsverweigerungsrecht aus dem Aufsichtsverfahren zu einem umfassenden Auskunfts- und Vorlageverweigerungsrecht im Ordnungswidrigkeitenverfahren; der Betroffene hat nunmehr das Recht, jede aktive Mitwirkung an den Ermittlungen im Bußgeldverfahren zu verweigern.

Bezugnehmend auf das Spannungsverhältnis der Mitwirkungspflichten zur Verschwiegenheitspflicht ist zu bedenken, dass die staatlichen Informationsbegehrlichkeiten in den letzten Jahren kontinuierlich – auch aus guten Gründen – gestiegen sind. Schließlich besteht insbesondere im Sinne des GwG ein natürliches Spannungsverhältnis zwischen dem staatlichen Interesse an effektiver Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung und dem Gemeinwohlinteresse an einem nahezu lückenlosen anwaltlichen Berufsgeheimnis. Dementsprechend ist es notwendig, dass die Anwaltschaft und die Berufsverbände im Hinblick auf den Schutz der Verschwiegenheit wachsam sind und diese Kernpflicht der Rechtsanwälte gegenüber dem Gesetzgeber und der EU bestmöglich verteidigen, wie es die BRAK jüngst bezüglich des im Juli 2021 veröffentlichten Gesetzgebungspakets zur Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung getan hat.

 

[1] Wendel/Thirmeyer, in: Zentes/Glaab, GwG, § 52, Rn.10.

[2] BT-Drs. 17/5417, S. 14; Wendel/Thirmeyer, in: Zentes/Glaab, GwG, § 52, Rn.10.

[3] Bärlein, Pananis, Rehmsmeier, NJW 2002, 1825.

[4] BT-Drs. 17/5417, S. 14; Wendel/Thirmeyer, in: Zentes/Glaab, GwG, § 52, Rn.19.

[5] vgl. VG Berlin, NJW, 1988, 1105, 1106 f.; Hartung, NJW 1988, 1070,1071; Wendel/Thirmeyer, in Zentes/Glaab, GwG, § 52,  

  Rn.20.

[6] BVerfGE 56,37 = NJW 1981, 1431; Bärlein, Pananis, Rehmsmeier, NJW 2002, 1825, 1827.

[7] vgl. BVerfGE 56, 37 (51) = NJW 1981, 1431; Bärlein, Pananis, Rehmsmeier, NJW 2002, 1825, 1827.

[8] Bärlein, Pananis, Rehmsmeier, NJW 2002, 1825, 1827.

[9] vgl. Rogall, in: SK-StPO, Vorb. § 133 Rn. 146; Bärlein, Pananis, Rehmsmeier, NJW 2002, 1825, 1828.

[10] EGMR, NJW 1985, 1273.

[11] EGMR, ÖJZ 1998, 32.

[12] EGMR, NJW 2002, 499.

[13] Ab dem 01.08.2022 entspricht § 59 b Abs. 2 Nr. 1 lit. c BRAO § 59 a Abs. 2 Nr. 1 lit. c BRAO.

[14] BVerfG NJW 2007, 2752, 2753; BVerfG NJW 2006, 3411, 3412; BVerfG NJW 2005, 1917, 1919; BVerfG NJW 2004, 1305, 1307; Henssler, AnwBl. 2019, 216.

[15] BVerfG NJW 2004, 1305, 1309; Henssler, AnwBl. 2019, 216.

[16] Knöfel, Grundfragen der internationalen Berufsausübung von Rechtsanwälten, 2005, 741; Henssler AnwBl. 2019, 216, 217.

[17] BGH NJW 1954, 1656; BGH NSTZ 2000, 596, 597.